Bürgerschaftliches Engagement ist unsere wichtigste Ressource

Clemens Back KIOSKDas von der Stadt Freiburg veranlasste Gutachten zur Quartiersarbeit hat für viel Aufregung gesucht. Unser Experte für das Thema, Dr. Clemens Back, hat einen Blick darauf geworfen, welche Konzepte der Stadtteilarbeit, besonders mit einem Blick auf das Rieselfeld, heute wichtig und unverzichtbar sind.

kfhProf. Dr. Martin Becker von der Katholischen Hochschule hat einen kritischen Beitrag an die Gemeinderäte verfasst, in dem er eine Einrodnung des Gutachtens vornimmt.

Gerade die erfolgreiche präventive Quartierarbeit in Rieselfeld und Vauban zeigen exemplarisch, dass mit professionellen Ansprechpartnern vor Ort und einem passenden Konzept, bürgerschaftliches Engagement ermöglicht, gefördert und verbreitert sowie die Eskalation sozialer Probleme vermieden werden kann.

Lesen Sie den ganzen Text hier.

Ein offener Brief aus der Perspektive der Anwohner aus unserem KIOSK-Vorstand finden Sie in diesem Beitrag.

Eine Übersicht der Zeitungsartikel zum Thema finden Sie in unserem Pressespiegel.

Eine Antwort eines Quartiersarbeiters, der seit über 20 Jahren im Rieselfeld arbeitet auf das Gutachten über die zukünftige Konzeption der Quartiersarbeit in Freiburg

Ausgangslage: Ziel war eine Untersuchung von con_sens, gemeinsam mit den Akteuren ein quartiersbezogenes Leistungsprofil zu entwickeln.

Als großer Wurf wurde nun die „Rekommunalisierung“ der Quartierarbeit präsentiert, jedoch unterfüttert mit fachlich falschen Argumenten.

Als ein Hauptkritikpunkt wird immer wieder der „Wildwuchs“ der Träger in den Quartieren genannt.

  1. Warum so viel Angst vor Vielfalt? Freiburg kann froh sein, dass seine Stadtteile und Quartiere so vielfältig sind und so viel Heterogenität in der Stadt beheimatet ist. Der Gegensatz zu Wildwuchs ist ein „Stutzgarten“. Diese Vielfalt drückt sich natürlich auch in den gewachsenen Stadtteilvereinen aus, die sich teilweise seit 20, 30 Jahren aus und mit der Quartiersarbeit entwickelt haben. Die verschiedenen Quartiere mit ihren unterschiedlichen Milieus bearbeiten die Themen, die sich aus ihrem Quartier ergeben, mit ihren Strukturen und Methoden. Das ist gut so und deckt sich mit dem Verständnis von Gemeinwesen-/Quartiersarbeit.
    Gemeinwesenarbeit richtet sich ganzheitlich auf die Lebenszusammenhänge von Menschen. Ziel ist die Verbesserung von materiellen (z. B. Wohnraum, Existenzsicherung), infrastrukturellen (z. B. Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten, Grünflächen) und immateriellen (z. B. Qualität sozialer Beziehungen, Partizipation, Kultur) Bedingungen unter maßgeblicher Einbeziehung der Betroffenen. GWA integriert die Bearbeitung individueller und struktureller Aspekte in sozialräumlicher Perspektive. (Gemeinwesenarbeit als Konzept Sozialer Arbeit, Sabine Stövesand, Christian Stoik; 2012)
  2. Gerade der Sozialraumbezug, der ja auch in Freiburg immer wieder hervorgehoben wird, ist durch den Lösungsvorschlag obsolet. Er bedeutet, die Perspektive auf die Besonderheit des Quartiers zu legen: kleinräumige, dezentrale Strukturen schaffen, keine Standardlösungen schaffen, sondern Lösungen angepasst an die örtlichen Gegebenheiten. Das heißt, sich nicht nur fachlich, sondern auch räumlich organisieren. In Quartieren mit vielen Alleinerziehenden, mit vielen alleinstehenden Senioren kann dies durchaus ein Mittagstisch sein. Warum diese pauschale Verächtlichmachung?
  3. Welche BewohnerInnen werden sich denn noch in den Stadtteilvereinen engagieren, wenn sie keinen Gestaltungsraum mehr haben? Ist es nicht eine Missachtung des Bürgerschaftlichen Engagements der Bürgerinnen, wenn sie erfahren, dass das Bearbeiten stadtteilspezifischer Themen wie den demographischen Wandel oder die Arbeit mit Flüchtlingen keine Quartiersarbeit sei? Hunderte von Ehrenamtlichen haben sich in den Quartieren mit den Hauptamtlichen diesen Aufgaben gestellt. Die Synergieeffekte der Akteure vor Ort mit ihren jeweiligen Strukturen sind aus einem Prozess entstanden und haben etwas mit der Nähe der Quartiersarbeit mit dem Quartier zu tun.
    Die Menschen im Quartier sind für die Quartiersarbeit die wichtigste Ressource (übrigens auch für die Verwaltung und die Politik). Mit Ressourcen sind alle Hilfsmöglichkeiten gemeint, die zur Lebensbewältigung eines Einzelnen, einer Gruppe/Familie, eines Gemeinwesens mobilisiert werden und die Handlungsmöglichkeiten der Menschen erweitern.
    Im Mittelpunkt der ressourcenorientierten Arbeit steht die Frage, welche Ressourcen eine Person benötigt, um mit belastenden Situationen umzugehen. Gefragt ist also beispielsweise nicht, was krank macht, sondern was hilft, gesund zu bleiben und eine stabile Lebensführung zu praktizieren. Diese Gedankengänge sind mühelos auf das Gemeinwesen zu übertragen.
    Vorhandene Potentiale des Stadtteils werden genutzt, aktiviert und gefördert, angefangen bei den persönlichen Ressourcen (einzelner Menschen) über soziale Ressourcen von mehreren Menschen in Beziehungsnetzen und materielle Ressourcen wie Räume und Geld bis hin zu infrastrukturellen Ressourcen (Organisationen, Dienste, Verwaltung, Wirtschaft, Politik, Verkehr, etc.). (Auszug aus Standards der Quartiersarbeit in Freiburg, Dez. 2015)
    Mit der Kommunalisierung ist dieses Arbeiten gefährdet und wird langfristig zu einer Abnahme des Engagements führen.
  4. Wenn das Rieselfeld einerseits immer, auch überregional, als Erfolgsmodell gepriesen wird, anderseits die Negativindikatoren gegen eine Quartiersarbeit sprechen, wäre es doch hilfreich sich einmal mit dem Gedanken auseinander zu setzen, dass das Eine mit dem Anderen zu tun hat?
  5. Die städtische Koordinationsstelle ist allgemeine Anlaufstelle für die Quartiersarbeit und transportiert die Anliegen der Quartiersarbeit in die Stadtverwaltung. Hierfür sollte die Koordinationsstelle als Stabsstelle im Sozialdezernat verankert sein.
    Für eine gute Kooperation sind klare Zuständigkeiten bei der Stadtverwaltung sowie verlässliche Kommunikationsstrukturen zwischen Quartiersarbeit und Stadtverwaltung mit definierten AnsprechpartnerInnen nötig.
    Die Quartiersarbeit ist Ansprechpartnerin für die Stadtverwaltung zu Themen im Stadtteil, die von BürgerInnen oder Politik an dieStadtverwaltung herangetragen werden.
    In den Stadtteilen sollte jeweils ein Jour Fixe mit Quartiersarbeit, den beteiligten städtischen Ämtern und Wohnungsunternehmen zum regelmäßigen Austausch und für Absprachen eingerichtet werden.
    (Redaktionsgruppe FrAG, 10.12.2015)
    Die Quartiersprojekte haben in den letzten 10-12 Jahren dreimal mit städtischen VertreterInnen immer wieder Anläufe unternommen Qualitätstandards zu entwickeln und Strukturen innerhalb der Verwaltung (Ausbau der Quartiersmanagementstelle) aufzubauen. Dies ist immer wieder versandet. Im Herbst 2015 hat dann die FrAG (Freiburger Arbeitskreis Gemeinwesenarbeit) in Eigenregie diesen Prozess vollendet (auf den sich jetzt auch die Gutachter beziehen).

„Die Funktionsebene der Gemeinwesenarbeit ist als Bestandteil integrierter Stadtteilentwicklungsstrategien so bedeutsam, weil gerade diese als antizyklische Korrekturbewegung dafür sorgt, dass nicht allein ein für das Quartier erlassener
Top-down-Programmkatalog bestimmt, was vor Ort diskutiert werden kann und was nicht thematisiert wird. Der spezifische Wert der GWA auf Stadtteilebene liegt darin, dass sie gegenüber kommunaler Politik und Verwaltung auch eine
der Administration fremde Logik repräsentiert. Mithilfe von Bewohnerversammlungen, Hinterhofgesprächen, Hausbesuchen, aktivierenden Befragungen, Info- Ständen, Arbeitsgruppen, Wochenmarktaktionen, Treppenhausmeetings, Stadtteilfesten
usw. kann die GWA die Diskussion für unerwartete und nicht allein am aktuellen Leitbild der Stadtteilentwicklung orientierte Forderungen der Menschen im Stadtteil offenhalten.“
Prof. Oliver Fehren, in: Matthias Drilling Patrick Oehler (Hrsg.): Soziale Arbeit und Stadtentwicklung. Forschungsperspektiven, Handlungsfelder, Herausforderungen, 2. Auflage 2016

Mit diesem Zitat möchte ich als langjähriger Freiburger Quartiersarbeiter und als ein Sprecher der FrAG die Verantwortlichen bitten, den Beteiligungs- und Mitwirkungsprozess ernst zu nehmen, ihm eine Chance zu geben und das Erreichte nicht zu zerschlagen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Clemens Back