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„Ich bin eine Ressource!“ – Rückblicke – Einblicke – Ausblicke beim Stadtteilgespräch Rieselfeld

Zum „Stadtteilgespräch Rieselfeld“ hatte die Quartiersarbeit im Stadtteilverein K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V. geladen und 150 Gäste erlebten einen spannenden und inhaltsreichen Abend. Im Mittelpunkt des ersten Teils im dreistündigen Programm stand die von K.I.O.S.K. in Auftrag gegebene „Wirkungsanalyse“.

Professor Martin Becker von der Katholischen Hochschule Freiburg erläuterte die besondere Relevanz des Raumes für Wohnen und Arbeiten, für Begegnung und Inszenierung des Sozialen im Wohnquartier. Die gemeinsame Gestaltung dieses Raumes sei durch die Begleitung der Evangelischen Hochschule unter Projektleitung von Prof. Konrad Maier „Quartiersaufbau Rieselfeld“ von Anfang an besonders gut gelungen. So konnten Menschen miteinander in Kontakt kommen, sich austauschen, sich in der Pioniersituation gegenseitig helfen. Die Akzeptanz von Vielfalt und Heterogenität trug maßgeblich zum verständnisvollen Miteinander bei. Aus der Beteiligung vieler lasse sich Kraft schöpfen, die zu einer Alltagskultur werde und die Leistung der einzelnen Menschen als wichtig ein- und wertschätze. Quartiersarbeit, so Professor Beckers klare Haltung, müsse sich heute wegbewegen von der Defizitorientierung, hin zur Ressourcenorientierung und Einbeziehung verschiedenster Milieus.

Ein „beispielhaftes, dynamisches, bedarfsorientiertes und lernendes Konzept…“

Constanze Bäuerle untermauerte diesen Ansatz in ihrer  wissenschaftlichen Forschung mit dem Titel „20 Jahre Quartiersaufbau Rieselfeld, 20 Jahre K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V.“. Die Arbeit war vom Stadtteilverein in Auftrag gegeben worden, um einen Gradmesser für den Erfolg von 20 Jahren Quartiersarbeit zu generieren. Constanze Bäuerles  Fazit: Die Quartiersarbeit im Rieselfeld sei ein beispielhaftes, dynamisches, bedarfsorientiertes und lernendes Konzept. Ein wesentliches Element für die erfolgreiche Arbeit sei das gute Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamtlichen. So gelinge die „Inszenierung des Sozialen“ optimal.

Das eigene Lebensumfeld aktiv und kreativ gestalten

Im Anschluss schilderte Bertram Schrade ebenso wortgewandt wie humorvoll, wie für ihn und seine Familie der damals „neue“ Stadtteil vom kritisch beäugten Projekt zum Wohlfühlstadtteil wurde. Alle hätten ihm damals abgeraten, hierhin zu ziehen. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich Bertram Schrade vom skeptischen Pionier zum begeisterten Mitmacher: „Ich bin eine Ressource“, lautet die Bewohner-Perspektive aus seinem Plädoyer für aktives bürgerschaftliches Engagement in der Nachbarschaft. Ein Engagement, das nicht uneigennützig sei: Wer sich als Mitmacher betätige, habe sein Ohr am Puls der Bewohner, könne sein Lebensumfeld aktiv und kreativ gestalten und bekomme viel Resonanz. Schrade ist seit 2006 Vorsitzender des Vereins K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V., der begleitend zum Aufbau des Stadtteils unter Ägide des unvergessenen Professors Konrad Maier, etabliert wurde. Ein Vertrauensvorschuss, der sich auszahlte: Mit Fertigstellung des Stadtteiltreffs „Glashaus“ übertrug die Stadt Freiburg dem Verein neben der Quartiersarbeit auch die Verwaltung des Hauses, als auch die offene Kinder- und Jugendarbeit. Fazit: „Jeder Stadtteil sollte einen eigenen Quartiersverein haben.“

Die bewegliche Mitte

Nach einer Erfrischung mit Sekt und Selters für die Kehle und Klängen der Rieselfelder Band „Karaguna“ unter Leitung von Thomas Schoch folgte ein lebhafter Austausch in der „FishBowl“ mit Kreisbestuhlung um eine bewegliche Mitte. Experten und Praktiker*innen des Alltags tauschten sich in souveräner Moderation von Selma Nabulsi und Andreas Roessler über die Chancen und Herausforderungen erfolgreicher Quartiersarbeit aus.

Neben Professor Martin Becker, Thomas Mampel, Vorsitzender des  VskA (Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Berlin) und dem ehemaligen Quartiersarbeiter Dr. Clemens Back nahmen auf den freien Stühlen Menschen aus dem Publikum Platz, um ihre Fragen zu stellen, Anregungen zu geben und konstruktive Kritik zu äußern. Neben der Zufriedenheit mit dem „Modell Rieselfeld“ wurde hier deutlich, wie sehr sich die Rieselfelder*innen um die Zukunft sorgen: Die 2. Generation ist längst angekommen und will sich mit ihren Ideen und Vorstellung von guter Nachbarschaft einbringen, der demographische Wandel birgt bislang unbekannte Herausforderungen, der geplante Stadtteil Dietenbach bringt ab Mitte der 2020er-Jahre 15.000 neue Nachbarn. Gerade in diesem Zusammenhang kommt der Feststellung „Gute Quartiersarbeit braucht Räume der Begegnung“ besonderes Gewicht zu. So stellte sich nicht nur Thomas Mampel die Frage, ob die Planer und die Stadtverwaltung sich nicht am Rieselfeld orientieren könnten. Denn: Hier wurde und wird täglich bewiesen, dass Gemeinwesenarbeit sich eben nicht in Symptombekämpfung erschöpfen solle, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sondern vielmehr durch Prävention Gesellschaft gestalten, durch vielfältige Angebote für alle Altersgruppen. Mampel bezeichnete K.I.O.S.K. e.V. als „Musterbeispiel für gelungene Quartiersarbeit“ und wünschte sich für die 80 Mitgliedsvereine seines Verbandes mehr solcher Ideengeber aus der Bevölkerung und „Helfer“ der professionellen Quartiersarbeit. So entstünden nachhaltige Beteiligungsprozesse.

Zur geplanten Neuordnung der Quartiersarbeit in Freiburg trug Boris Gourdial, Leiter des städtischen Amtes für Soziales und Senioren, den erklärten Auftrag der Stadt Freiburg vor, Quartiersarbeit bis 2030 flächendeckend zu etablieren. Bei diesem Thema herrsche „hohe Meinungsvielfalt“. Es gehe darum, Ressourcen und Potentiale zu ermitteln und Defizite zu eruieren. Dabei müssten die Modelle Rieselfeld und Vauban berücksichtigt werden. Sein Kollege Thomas Müller, beim Amt zuständig für Quartiersarbeit, setzt auf das Abwägen der Indikatoren und entsprechendes Vorgehen. Clemens Back, Rieselfeld-Quartierarbeiter der ersten Stunde, sieht permanentes Empowerment als besonderes Merkmal erfolgreicher Arbeit im Stadtteil: Menschen sollen selbst aktiv werden, sich organisieren und Verantwortung übernehmen. Die Gemeinderätin Pia Federer, selbst Rieselfeld-Bürgerin, argumentierte ebenso wie der Vorsitzende des BürgerInnenVereins Rieselfeld BIV e.V., Andreas Roessler, für Räume, die als Treffpunkte und Vernetzungsmöglichkeiten dienen. Thomas Mampel ergänzte: „Teilhabe und Beteiligung hat oberste Priorität – ohne ein festes Haus funktioniert Stadtteilarbeit nicht gut.“ So solle man ein Konzept erstellen, das ohne Rechtfertigungsdruck mit Leben gefüllt werden könne. Das Rieselfeld als „lernende Planung“ könne hier durchaus als Modell gelten, das – so Gemeinderätin Irene Vogel – Selbstbestimmung durch einen von Bürger*innen getragenen Verein praktiziere. Hier erkennen die Bewohner*innen, dass sie mit ihrem Engagement etwas erreichen können.

Mit sehr persönlichen „Worten ins Morgen“ (s. unten) verabschiedete Daniela Mauch, Geschäftsführerin K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V., die Gäste in eine warme Frühlingsnacht. Ein Abend, der nachklingen wird – bei den Bewohner*innen, den Expert*innen und Politiker*innen.

Die komplette Wirkungsanalyse „20 Jahre Quartiersaufbau Rieselfeld, 20 Jahre K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V.“ von Constanze Bäuerle kann zum Preis von 18 Euro bestellt werden.