Weiterführende Beiträge und ausführliche Antworten auf Fragen zu 25 Jahren K.I.O.S.K.-Geschichte, die in unserem aktuellen EXTRAblatt zum K.I.O.S.K.-Jubiläum nur verkürzt ihren Platz fanden, können im Folgenden nachgelesen und als PDF-Dateien heruntergeladen werden.

Liste der Beiträge:

  • Beitrag von Gabriele Wesselmann, Leiterin des Amtes für Kinder, Jugend und Familie, Freiburg (EXTRAblatt Seite 5)
  • Beitrag von Boris Gourdial, Leiter des Amtes für Soziales der Stadt Freiburg (EXTRAblatt Seite 5)
  • Beitrag von Dr. Clemens Back, von 1996 bis 2017 Quartiersarbeiter bei K.i.o.S.K. im Rieslefeld e.V. (EXTRAblatt Seite 6)
  • Lyrische Ergänzung zum Beitrag von Daniela Mauch, Geschäftsführerin K.I.O.S.K im Rieselfeld e.V. (EXRTAblatt Seite 7)

Beitrag von Gabriele Wesselmann, Leiterin des Amtes für Kinder, Jugend und Familie, Freiburg (EXTRAblatt Seite 5)

Für die Zukunft gut gerüstet

Städtischer Auftrag – Beitrag Amt für Kinder, Jugend & Familie, Frau Wesselmann 

1. Was beeindruckt Sie besonders an 25 Jahren K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V. – mit Blick auf die Jugendlichen und Familien? 

Die Mischung macht´s! Dafür ist das Vierteljahrhundert K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V. ein lebendiges Beispiel. Von der Krabbelgruppe bis zur Seniorenarbeit finden sich hier alle Generationen wieder. Von dieser Vielfalt und Vielseitigkeit profitieren die Kinder und Jugendlichen im Stadtteil sehr. Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Kulturarbeit und natürlich die Quartiersarbeit sind keine voneinander abgetrennten Bereiche, sondern überschneiden sich immer wieder und bereichern sich wechselseitig. Hinter all diesen Bereichen steht mit dem Verein ein Träger, der durch seine offene Haltung, durch kompetente und engagierte Mitarbeitende und eine durchdachte Infrastruktur starke Jugendarbeit ermöglicht. 

Ein Fokus der Jugendarbeit liegt explizit auf der Arbeit mit sozial-benachteiligten Kindern und Jugendlichen, insbesondere auch auf gender- und milieuspezifischen Aspekten. Durch verschiedene Konzepte sollen möglichst viele Kinder und Jugendliche erreicht werden. Die Arbeit mit Mädchen, Jungen und geschlechtergemischten Cliquen, verschiedene Sport- und Bewegungsangebote sowie ein multimediales Studio sind nur einige Beispiele für die breite Palette an Angeboten, die sich dezentral und vor Ort an unterschiedliche Zielgruppen richtet. Auf diese Weise hat die Jugendarbeit im Rieselfeld ein stabiles Fundament. So gelingt es auch in Extremsituationen – wie den pandemiebedingten Lockdowns als Beispiel in der jüngeren Vergangenheit – die Angebote erfolgreich anzupassen und weiterhin für die Jugendlichen im Stadtteil da zu sein. 

2. Welche gesellschaftlichen Entwicklungen sind aus Ihrer Perspektive für K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V. in Zukunft relevant?  

Die zunehmende Komplexität unserer Welt stellt Menschen aller Altersgruppen vor große Herausforderungen. Kinder und Jugendliche benötigen aber umso mehr einen Raum für eine geschützte Entwicklung und ein sicheres Aufwachsen. Veränderungen in Gesellschaft und Umwelt müssen aufgegriffen werden, um damit einhergehende Herausforderungen wie die Klimakrise oder – ganz aktuell – die Folgen des Krieges in der Ukraine bewältigen zu können. Was gestern noch Gewissheit war, wird heute auf den Prüfstand gestellt oder hat bereits jegliche Relevanz verloren. Das sorgt gerade bei Jugendlichen für Verunsicherung in einer Lebensphase, die ohnehin durch viele Umbrüche geprägt ist. Kinder- und Jugendarbeit kann hier als Anlaufstelle und Verweilmöglichkeit für junge Menschen dienen und als eine feste Konstante in deren Leben den benötigten Halt geben. 

Dabei müssen wir noch mehr als bisher jene in den Blick nehmen, die aufgrund ihres Herkunftsmilieus, einer körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigung, ihrer sexuellen Identität und Orientierung oder ihrer Migrationsgeschichte gefährdet sind, von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder diskriminiert zu werden.  

Wir können K.I.O.S.K. nur beglückwünschen, dass hierfür sowohl in den Strukturen als auch bei den ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden beste Voraussetzungen gegeben sind, um aktuelle und kommende Herausforderungen bewältigen zu können und wünschen für die Zukunft alles erdenkliche Gute! 

Gabriele Wesselmann, Leiterin des Amtes für Kinder, Jugend und Familie, Freiburg 


Beitrag von Boris Gourdial, Leiter des Amtes für Soziales der Stadt Freiburg (EXTRAblatt Seite 5)

Vorbildfunktion erhalten, aber auch neue Strukturen schaffen

Boris Gourdial, Amt für Soziales und Senioren der Stadt Freiburg 

Was beeindruckt Sie besonders in 25 Jahren K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V.? 

 Besonders beeindruckt mich, wie der Trägerverein K.I.O.S.K. e.V. gemeinsam mit dem Stadtteil Rieselfeld und dessen Bewohner*innen gewachsen ist und die nachbarschaftlichen Strukturen im Stadtteil bis heute wesentlich prägt und mitgestaltet. Mit Entstehung des Stadtteils Rieselfeld und dem Erstbezug 1996 auf den ehemaligen Verrieselungsfeldern wurde auch vor mehr als 25 Jahren durch Bürgerbeteiligung und Gemeinschaftsgefühl der Stadtteilverein K.I.O.S.K. e.V. geboren. Angefangen in einem kleinen Info-Bauwagen, konnte K.I.O.S.K. e.V. 2003 das Stadtteilzentrum Glashaus beziehen. Der Verein initiiert und organisiert das kulturelle Leben im Stadtteil und koordiniert zahlreiche Aktivitäten des bürgerschaftlichen Engagements. 

K.I.O.S.K. e. V. macht eine bemerkenswerte Stadtteilarbeit und hat mit seiner Geschichte eine Vorbildfunktion für andere Stadtteile, z. B. den neuen angrenzenden Stadtteil Dietenbach.  

Welche gesellschaftlichen Entwicklungen sind aus Ihrer Perspektive für K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V. in Zukunft relevant? 

Demografischer Wandel 

Das Rieselfeld ist ein verhältnismäßig „junger“ Stadtteil. Insbesondere in der Entstehung des Rieselfeldes zogen viele junge Familien ins Rieselfeld. 25 Jahre später ist das Älterwerden im Rieselfeld ein großes Thema und wird in den kommenden Jahren noch mehr in den Fokus rücken. Neben einer altersgerechten und inklusiven Quartiersentwicklung werden auch nicht-familiäre Netzwerke immer bedeutender für eine gute Versorgung und Teilhabe aller Altersgruppen.  

Bezahlbares Wohnen 

Wie in vielen anderen Stadtteilen wird auch im Rieselfeld das Thema bezahlbares Wohnen in den kommenden Jahren zunehmend relevanter, auch vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahren bestehende Mietpreisbindungen im geförderten Wohnungsbau ausliefen bzw. bei einem Eigentümerwechsel einige Wohnungen von Mieterhöhungen betroffen waren.  

Erhalt des ehrenamtlichen Engagements 

Nicht nur durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie ist das ehrenamtliche Engagement in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Weniger Flexibilität durch Arbeitsbelastung und fehlende Attraktivität von Engagement-Möglichkeiten sind nur einige Gründe für den Rückgang des ehrenamtlichen Engagements. Für K.I.O.S.K. e.V. wird es in der Zukunft wichtig sein, das bisherige Engagement zu erhalten und neue, attraktive Strukturen für ehrenamtliches Engagement zu schaffen. Dies wird u.a. eine Aufgabe für den neugewählten Vorstand sein, für den erfreulich viele Rieselfelder*innen kandidiert haben. 

Boris Gourdial, Leiter des ASS – Amt für Soziales und Senioren der Stadt Freiburg 


Beitrag von Dr. Clemens Back, von 1996 bis 2017 Quartiersarbeiter bei K.i.o.S.K. im Rieslefeld e.V. (EXTRAblatt Seite 6)

„Was wollt ihr machen?“ – Eigensinnig erfolgreich: der Rieselfelder Weg

25 Jahre KIOSK 

Welche Voraussetzungen waren gegeben, damit die Quartiersarbeit erfolgreich wurde? 

Welche Voraussetzungen braucht es um den Wandel zu gestalten? 

Das Rieselfeld, Freiburgs zweitjüngster Stadtteil, feiert 2021/22 sein 25-jähriges Bestehen. Durch seine Entstehungsgeschichte, sein soziales Miteinander, der Vielfalt der Bevölkerung und durch die städtebauliche Ausprägung unterscheidet er sich von vielen anderen Stadtteilen Freiburgs.   

Ein ganz neues Kapitel wurde 1996 bei der Stadtteilentwicklung mit der Einrichtung des Stadtteilvereins K.I.O.S.K. e.V., seiner Quartiers- und Kinder + Jugendarbeit eingeleitet. Damit verbunden war und ist eine neue Philosophie der Bürgerbeteiligung: Die Entwicklung des Rieselfeldes sollte und soll durch die BewohnerInnen mitgestaltet und von ihnen selbst getragen werden. 

Was war aber das Besondere, das von manchen schon als der „Rieselfelder Weg“ beschrieben wurde? 

Der Reihe nach: 

1994, am Anfang, gab es verschiedene Arbeitskreise zur „Erweiterten Bürgerbeteiligung“, in denen sich an die 200 Freiburger Bürger*innen zusammengesetzt und überlegt haben: Wie könnte ein idealer Stadtteil aussehen? Überlegt wurde zum Beispiel die Idee des „Stadtteils der kurzen Wege“, in dem alles gut zu Fuß erreichbar sein soll. Parallel dazu kamen wichtige Impulse von der Evangelischen Hochschule, die jahrzehntlang in Weingarten mit Projekten tätig war. Dass alles so gut angelaufen ist, hat sicher damit zu tun, dass die „Chemie“ mit dem damaligen Sozialbürgermeister Hansjörg Seeh gestimmt hat. Im Vorfeld sind wir (das heißt konkret: Professor Konrad Maier, der Autor Clemens Back als zukünftiger Quartiersarbeiter und Studierende des damaligen Schwerpunktseminars der Evangelischen Hochschule) nach Dänemark , Österreich und in die Schweiz gefahren und haben uns Projekte angeschaut und dann ein Konzept entwickelt, das in die Quartiersarbeit Rieselfeld mündete. 

Der Grundgedanke ist, dass in der Soziale Arbeit nicht an Defiziten gearbeitet werden soll, sondern dass vielmehr an Ressourcen des Stadtteils angeknüpft wird. Dieser Ansatz gilt im Rieselfeld bis heute. Schon ganz früh hatten die Menschen hier einen Rahmen, in dem sie sich einbringen konnten. Die Idee für die Quartiersarbeiter war nicht: Was machen wir für euch? Nein, es ging vielmehr um die Frage: Was wollt ihr machen? Eine zentrale Anlauf-Moderations- und Katalysatorenstelle für jegliche Arten von zivilgesellschaftlichem Interesse und Tätigkeiten war und ist das Projekt K.I.O.S.K. e. V. (= Kontakt, Information, Organisation, Selbsthilfe und Kultur). Seinen Anfang nahm es 1996, also bereits vor dem Einzug der ersten Rieselfelder*innen, und zwar durch das von der Kommune Freiburg finanzierte Projekt „Quartiersaufbau Rieselfeld“.  

Dabei wurden folgende Handlungsziele verfolgt: 

  • Alltagskultur im neuen Stadtteil aufbauen und entwickeln 
  • Anregungen und Impulse für Initiativen aus der Bewohnerschaft aufnehmen und deren Umsetzung begleiten 
  • Anregung der Bewohnerschaft, sich an der Entstehung und Entwicklung sozialer und kultureller Infrastruktur zu beteiligen 
  • Eigeninitiativen fördern, selbsttragende Netze im Stadtteil aufbauen… 

… und daran mitwirken, ein lebendiges Gemeinwesen mit guter Nachbarschaft zu schaffen. Der Grad der Verwirklichung dessen war nicht festgelegt und durfte auf keinen Fall im Sinne eines „je mehr, desto besser“ verstanden werden, d h., die Umsetzung konnte nicht von außen gesetzt werden, sondern nur in einem Prozess mit den Bewohner*innen erfolgen. Parallel zur baulichen Entwicklung wurde also durch das Projekt K.I.O.S.K. ein Stadtteilleben mitinitiiert und entwickelt, welches die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als einen durch die Bewohner*innen getragenen Balanceakt zwischen den Produktions- und Reproduktionsprozessen, dem Öffentlichen und dem Privaten begriff. 

Eine entsprechende Verortung des Vorhabens war selbstverständlich. Ab 1996 diente ein K.I.O.S.K–Laden mit Tagescafé als zentrale Anlaufstelle, als Informationsbüro, Nachbarschaftstreff, Versammlungs- und Diskussionsraum. 2003 übernahm ein durch Rieselfelder Bürger*innen gegründeter Verein die Trägerschaft. Im Stadtteiltreff Glashaus, einem von der Kommune finanzierten Neubau, führt er das Projekt als Stadtteilzentrum fort. Im Kontext der durch den Verein getragenen Stadtteilarbeit befinden sich dort Veranstaltungsräume für mittlerweile über 20 Stadtteilgruppen sowie die Kinder- und Jugendarbeit von K.I.O.S.K. e. V. 

K.I.O.S.K. hat räumlich eine Kreisbewegung gemacht: Vom Bauwagen auf dem Maria-von-Rudloff-Platz in den ersten Laden in der Max-Josef-Metzger-Straße, dann den Schritt über die Straßenbahnlinie in den größeren Laden im zweiten Bauabschnitt und schließlich wieder zum Ausgangspunkt auf den Maria-von-Rudloff-Platz in das Glashaus. Mit den Umzügen verbunden war eine stetige Vergrößerung der Behausungen. Dazu kam dann ab 2000 auch noch der Jugendladen „Sit in“. 

Voraussetzung für sozialen Einfluss, für die Entstehung von Nachbarschaften, für das Herausbilden von Zivilgesellschaft ist das Ermöglichen von Einfluss und Gestaltung. Diese Möglichkeiten werden durch soziale Netze erreicht, die durch mehr oder weniger Kohäsion gekennzeichnet sind. Doch auch wenn sich problematische Grundmuster zeigen, ist die junge Stadtteilgesellschaft Rieselfeld noch unfertig; sie ist noch kein fixes System. Durch Inklusion (dies bedeutet sich im Stadtteil zu engagieren um die Menschen mit einzubeziehen, in das System Stadtteil aufzunehmen) und Exklusion bleiben die dominanten Milieus (die im Besitz des sozialen Kapitals sind) in Bewegung und offen für die Gestaltung interkultureller Zwischenwelten. 

Eine wichtige Bedingung hierbei ist die Fortführung einer Stadtteilarbeit, die das Engagement von Bewohner*innen möglichst aller Milieus fördert und dabei deren jeweilige Lebenslage berücksichtigt. Dafür benötigt sie eine reflektierte und kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung sowie die entsprechende öffentliche Unterstützung und Finanzierung. 

Auch aus lebensweltlicher Sicht ist der Stadtteil durch Vielfalt gekennzeichnet, durch eine Pluralität von Lebensstilen, ethnischen und religiösen Orientierungen, kulturellen, sozialen sowie wirtschaftlichen Milieus. Dieser Pluralismus ist eine wichtige Dimension für das Zusammenleben im Gesamtquartier. Noch aber sind unsichtbare Grenzen, ist schleichende Abgrenzung ein Faktum. Dies wird zum Beispiel durch die Auswahl von Spielkameraden zwischen verschiedenen Schichten und Milieus sichtbar. 

Gerade ein neuer Stadtteil lebt stark von Menschen, die sich zeitlich begrenzt immer wieder auf eine neue Phase des Lebens beziehen wollen. Ein neuer Stadtteil hat für die ersten Jahre etwas Unbestimmtes. Es gab und teilweise gibt es noch eine Pioniersituation. Das heißt z.B. man redet und hilft sich bei Fragen und Problemen des Einlebens und der Neuorientierung. In älteren, ausdifferenzierten Stadtteilen ist eher ein Nebeneinander oder sogar Gegeneinander festzustellen.  

Im Ganzen betrachtet kann die bisherige Entwicklung aber durchaus als Erfolg gewertet werden. 

Was aber kann die Ursache des Erfolges sein? Ich denke, ein wichtiger Faktor ist das Ermöglichen in Möglichkeitsräumen. Das heißt: Steht draußen um unsere Linde eine Bank, hat man die Möglichkeit sich zu setzen. Da es eine Bank ist und kein Stuhl, kann sich jemand dazusetzen. Also ein Möglichkeitsraum. Aber der Begriff sagt noch viel mehr: Möglichkeitsraum kann eine konkrete räumliche Situation meinen, ist also begrifflich zunächst konkret, kann aber auch ein virtueller Raum sein. Es ermöglicht den Akteuren, also den Bewohner*innen den kreativen, weil auch alternativen Umgang mit Räumen. Nur im Möglichkeitsraum haben die Akteur*innen die Möglichkeit sich vorzustellen, dass es auch anders sein könnte. 

Die jeweilige Situation kann also auch aus einer anderen Perspektive gesehen werden. Das heißt: Die Rieselfelder*innen verbinden mit räumlichen Situationen jeweils einen individuellen und durch die Zugehörigkeit zu einer Teilgruppe des Stadtteils geprägten Sinnzusammenhang. Diese Fähigkeit von Akteur*innen, in Sinnzusammenhängen zu leben und zu erleben, sowie der kulturelle Niederschlag dessen ist das Interesse am Quartier. Die Vielfalt solchen Erlebens und die Teilhabe an ihrem kulturellen Niederschlag zu ermöglichen, ist Aufgabe und auch der Erfolg unserer Arbeit. 

Es lassen sich drei Grundbedürfnisse nachbarschaftlichen Zusammenlebens definieren: 

  • das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit, Einbindung und Anerkennung (sense of community), z.B. in der Theatergruppe 
  • das Bedürfnis nach Beeinflussung, Gestaltung und Handlungsmöglichkeit (sense of control), z.B. in der Vorstandsgruppe, die die Entwicklung des Stadtteilvereins vorgibt. Dazu gehört die soziale Integration mit neuen Kontakten und die Vernetzung. Gemeinsam können neue Vorlieben entwickelt und alte weitergepflegt werden. Man kann sich aktiv einbringen, sinnstiftende Aktivitäten initiieren und so den neuen Ort mit individuellem und kollektivem Sinn füllen. 
  • das Bedürfnis, einen übergeordneten Sinnzusammenhang (sense of coherence) herzustellen. Er fördert Vertrautheit durch gemeinsame Narrative der Vergangenheit und Gegenwart. 

Durch die vielfältigen Aktivitäten und Initiativen der Bewohnerschaft – ob als Einzelpersonen, als Angehörige einer der zahlreichen Gruppen und Institutionen, ob in den Sportvereinen, im BürgerInnenVerein, in den Kirchengemeinden oder auch als intermediäre Akteure des K.I.O.S.K.-Vereins – sind all diese Bedürfnisse erfüllt.  

Die hiesige Stadtentwicklung hat sich neu positioniert. Die Menschen sind dabei, sich ihren Stadtteil anzueignen. Die Auseinandersetzungen über die „neue Urbanität“ und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung sind in Bewegung. Die Aufgaben der Stadtentwicklung im „neuen Stadtteil“ führen in ein widerspruchsvolles Feld von Wertvorstellungen, Wahrnehmungen und Bewertungen, dem ein ebenso vielgestaltiger sozialer und physischer Raum gelebten Lebens gegenübersteht. Sie reichen von den abseits gelegenen Häusern der Aussiedler bis zu den Straßen der aktiven Akademikern, die das soziale und kulturelle Leben des Stadtteils dominieren. 

Für die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der Gesellschaft scheint dabei heute die Organisation des Konsums und des Habitus immer wichtiger zu werden. Es ist offensichtlich, dass die soziale Position der Individuen nicht nur von der Stellung im Produktions- und Arbeitsprozess abhängt, sondern zunehmend von symbolischen Formen der Abgrenzung, die auch auf ästhetischen Erfahrungen beruhen. 

Das Faszinierende an einem neu entstehenden Großstadtviertel ist die Vielfalt, die verschiedenen Infrastruktureinrichtungen, die Geschichten der Ethnien und ihrer Bewohner*innen in der (neuen) Vorstadt. Es kommt für die Bewohner*innen darauf an, sich in dieser Unbehaustheit einzurichten, wenn sie schon zwangsläufig und unvermeidlich ist. An der Peripherie soll die Artenvielfalt und die Kultur des Vielfachen triumphieren. Das Quartier besteht aus dem Mosaik der kleinen Welten. Ähnliche Menschen machen noch kein städtisches Leben aus. 

Pulsierend, lustvoll, anstrengend, widersprüchlich – so schwärmen die Anhänger des Urbanen. Dicht, kompakt, funktional und sozial gemischt – so formulierten es die Stadtplaner auch für das Rieselfeld.   

Dabei erzeugt erst das Flanieren durch die Stadt, durch den Stadtteil Urbanität. Sie ist eigentlich keine objektive Eigenschaft eines Stadtteils, sondern das Resultat einer Beziehung, die ihre Bewohner*innen zu ihm unterhalten. Urbanität bedeutet Möglichkeitssinn inmitten der Notwendigkeiten des alltäglichen städtischen Lebens. Unsere Gesellschaft errichtet sich im Städtischen. In den Städten herrschen Ströme, Kapitalströme, Informationsströme, Ströme organisatorischer Interaktionen, Ströme von Bildern, Klängen und Symbolen. Ströme sind nicht nur ein Element der sozialen Organisation. Sie sind Ausdruck der Prozesse, die unser wirtschaftliches, politisches und symbolisches Leben dominieren. 

Die Arbeit der Hauptamtlichen bedarf der Kontinuität und Langfristigkeit mit möglichst den gleichen Bezugspersonen, die Vertrauen und stabile Beziehungen im Stadtteil aufbauen. Sie müssen auch eine gewisse Unabhängigkeit haben, die Sicherheit, dass ihnen der Träger in Konflikten den Rücken stärkt. 

Wichtig sind auch die niederschwelligen Raumangebote. Niederschwellig – das heißt zum einen: Sie müssen leicht erreichbar sein und „man“ muss gern hineingehen. Lage und Ausstattung müssen passen. Zum anderen: Es wird nichts erwartet, keine Leistung, keine Frage. Man soll nur hereinkommen und wird gern gesehen. Ohne einen solchen Raum, der im wahrsten Sinne Ermöglichungsraum ist, ist es schwer, erfolgreiche Quartiersarbeit zu machen. 

Und Quartiersprojekte brauchen Zeit. Die Zeit für Lernen und Erfolge im Stadtteil ist nicht identisch mit politischen Abläufen (z.B. Legislaturperioden) oder Förderzeiträumen. Das macht vielen Projekten Schwierigkeiten, weil sie dann unter Erfolgs- und Legitimierungszwänge gestellt werden, denen sie nicht nachkommen können. Man kann sie auch nicht so ohne weiteres vergleichen: Was in Freiburg Rieselfeld klappt, muss in Köln nicht klappen, was in Köln gut läuft, kann für Kassel völlig falsch sein. Hier gilt das Prinzip der lokalen Richtigkeit. 

Quartiere werden immer mehr zu gesellschaftlichen Orten. Immer bedeutsamer wird die Frage, was Menschen zu ihrer sozialen Verortung brauchen, um als integriert zu gelten und sich integriert zu fühlen. Wie und wo entsteht dieses Gefühl, dazuzugehören und für andere relevant zu sein? Wie und wo gelingt Menschen, dass sie anerkannt und respektiert werden und wie und wo gelingt ihnen ein gutes Leben im aristotelischen Sinne, nämlich ein verantwortliches Leben, ein Leben in Freundschaft, ein bewusstes Leben? 

Quartiere, Wohngebiete oder Stadtteile sind solche Orte, wo auch die Kommune fragen kann, wie man das Soziale so gestaltet, dass Menschen sich verorten können. Städtische Quartiere brauchen da zunächst auch andere Rahmenbedingungen als das Dorf. Gelingt noch Gemeinschaft und ist Vergemeinschaftung in modernen wohlfahrtsstaatlich verfassten Gesellschaften noch eine hinreichende Bedingung sozialer Verortung und wie gelingt diese soziale Verortung unter den Bedingungen moderner Gesellschaft? 

Dr. Clemens Back  
(21 Jahre Quartiersarbeiter bei K.I.O.S.K. e.V. im Rieselfeld) 


Es ist – Dein Quartier

Es sind die Steine.

Es sind die Steine, die Mauern, die Straßen. Es sind die Häuser, die Treppen und Fenster. Es sind die Türen.

Es ist – ein Dach.

Es sind die Gruben, es ist Lärm und Schmutz, es ist nichts da.

Es sind die Visionen und Träume, sind die Pläne und Planungen.

Es ist – leerer Raum.

Es sind die Fremden, es sind die Pioniere, die Zugezogenen, es sind die Heimatsuchenden.

Es sind die Menschen, die Kinder, die Alten, die Frauen, die Männer.

Es sind – die Nachbarn.

Es sind die Orte und Plätze, die Wege und Verstecke. Es ist Raum für Entwicklung, für Probieren und Studieren, es ist Freiraum und Spielraum.

Es ist – der offene Raum.

Es ist daheim sein und fremd sein, bekannt sein und neu sein, es ist Liebe und Drama. Streit und Versöhnung, Tod und Geburt, es ist Kälte und Wärme, ist Ankunft und Abschied.

Es ist – das Leben.

Es sind Wiesen und Gärten, Blumen und Bäume. Es sind Töne und Worte, Gesten und Blicke. Es ist Abenteuer und Wagnis.

Es ist – ein Versuch.

Es ist das Hinhören und Wahrnehmen, es ist die Einheit und Vielfalt, es ist ankommen und reinkommen, Platz finden und mitmachen.

Es ist der Bandstand, der Spielplatz, das Wohnheim, der Tümpel. Es sind die Läden, die Käufer, die Kneipe, die Gäste,

Es sind – die Besucher.

Es ist der Tanz, der Artikel, das Buch und die Lesung, es sind die Sachen und Dinge, das Tun und das Lassen.

Es ist – alles da.

Es ist die Begegnung, das Wachstum, das Lernen und Reifen. Es ist Selbst Tun und nichts tun. Orientierung und Vorangehen.

Es ist Engagement und bequem sein, ist Konsens und Differenz, ist Kommen und Gehen, Reden und Tanzen, ist Singen und Denken, Bauen und Planen.

Es ist – das Quartier.

Es ist das Quartier, von heute und morgen. Es ist der Raum, der voll ist, voll ist mit Chancen, der Aussichten bietet und alles verheißt.

Es ist das Quartier, das in deiner Hand liegt, in deinem Herzen und vor deinen Füßen.

Es ist die Gesellschaft, voll Menschen im Alltag, ist Neugier und Fragen, es ist deine Zukunft.

Es ist dein Quartier, in dem Du lebst, im Heute und Morgen.

Es ist , was es ist, es ist, was Du daraus machst!

Es ist- Dein Quartier

Daniela Mauch, Geschäftsführerin K.I.O.S.K. im Rieselfeld e.V., 2018



K.I.O.S.K. e.V. entstand im Rahmen des Modellprojektes „Quartiersaufbau Rieselfeld“ bei der Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung der Evangelischen Fachhochschule, um den Aktivitäten vor Ort in der Großbaustelle Rieselfeld ein Gesicht und eine Plattform zu geben.